Die Ampel im Expertise-Check

TU-Forscher*innen zu Positionen des Koalitionsvertrages von SPD, Grünen und FDP

29.11.2021

Wissenschaftliche Expertinnen und Experten der TU Darmstadt bewerten die energie- und klimapolitischen Positionen des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP

Der Koalitionsvertrag der Ampel-Koaltion im Check

Der Koalitionsvertrag enthält wichtige Leitplanken, die zur Orientierung des politischen Handelns extrem wichtig sind. Hierzu gehören mit oberster Priorität die Erreichung der international vereinbarten Klimaschutzziele sowie das klare Bekenntnis zum Innovationsstandort Deutschland mit Wissenschaft und Forschung als Garant für Wohlstand, Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt in einer nachhaltigen Gesellschaft. Sehr positiv hervorzuheben ist ebenfalls die mehrmals angesprochene Technologieoffenheit, die sich aber nicht in allen Themenbereichen konsistent wiederfindet. Bedauerlich ist, dass teilweise mehr eine Technologieauswahl im Vordergrund steht und weniger eine klare Vorgabe umweltpolitischer Ziele jenseits des doch recht allgemeinen 1,5°C-Ziels, die dann zu einem Technologie-Wettbewerb führen würde. Außerdem fehlt, dass Technologien hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit in einer vollständigen Lebenszyklusanalyse bewertet werden sollen, was Grundvoraussetzung ist, um Fehlentwicklungen zu vermeiden.

Es ist zu begrüßen, dass die Erneuerbaren Energien für eine nachhaltige Stromproduktion rasch ausgebaut werden sollen und dass diese Ziele durch modernisierte und entbürokratisierte Planungs- und Genehmigungsverfahren flankiert werden sollen. Kritisch zu beurteilen ist bei der Beschreibung der Ziele jedoch, dass der Energiebedarf im Integral betrachtet wird. Die Tatsache, dass das fluktuierende Angebot der Erneuerbaren Energien häufig nicht der aktuellen Nachfrage auf dem Strommarkt entspricht, führt in einer zukünftigen nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu der Notwendigkeit, Energie in erheblichem Umfang zwischen zu speichern. Es wäre wünschenswert gewesen, dass dieser Punkt klarer adressiert worden wäre, um Raum für den Wettbewerb von innovativen Ideen und nachhaltigen Technologien zu schaffen.

Energie und Klima sind zentrale Themen des Koalitionsvertrags, das ist besonders positiv hervorzuheben. Es werden sehr ambitionierte Ziele zum Ausbau der Erneuerbaren Energien anhand konkreter Werte für die zu installierende Leistung zur Erzeugung von Wind- und Solarstrom gesetzt. Eine direkte Konsequenz hieraus ist, dass die Speicherung und ggf. der Transport Erneuerbarer Energie zukünftig noch wichtiger werden. Leider ist der Koalitionsvertrag in diesem Punkt wenig konkret, lediglich Wasserstoff als chemischer Speicher wird an mehreren Stellen hervorgehoben. Gerade aber die Speicherung großer Energiemengen ist unverzichtbar für die angestrebte nachhaltige Kreislaufwirtschaft, da nur so das fluktuierende Stromangebot aus Erneuerbaren Quellen an den Bedarf angepasst werden kann. Hier wäre es wünschenswert gewesen, dass der Beitrag der Wissenschaft in der Erforschung neuer Lösungsoptionen stärker herausgestellt wird, insbesondere da die Technologieoffenheit zur Erreichung der Klimaziele eine zentrale Aussage des Koalitionsvertrags ist.

Parallel zu dem schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien soll der Ausstieg aus der Kohleverstromung beschleunigt werden. Es ist positiv hervorzuheben, dass im Koalitionsvertrag deutlich auf die Herausforderungen bei der Deckung des Strom- und Energiebedarfs zu wettbewerbsfähigen Preisen und bei der Versorgungssicherheit hingewiesen wird. Als wesentliche Maßnahme zur Absicherung wird explizit der Bau moderner Gaskraftwerke an den bisherigen Kraftwerksstandorten genannt. Andere vielversprechende Optionen, die Gegenstand aktueller Energieforschung sind, werden leider nicht angeführt. Die an verschiedenen Stellen angesprochene Technologieoffenheit fehlt an dieser Stelle.

Klima- und Energiepolitik, Europapolitik

In der Klima- und Energiepolitik zeigt der Koalitionsvertrag deutlich die Handschriften der Koalitionäre. Während sich die Grünen mit ihren Ambitionen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien durchgesetzt haben, dominiert die SPD den Vertrag mit dem Schutz der Gasindustrie. Die FPD setzt sich mit ihrem Bekenntnis zur Technologieoffenheit durch. In anderen Themen der Energietransformation wie etwa der Energieeffizienz wird auf inkrementelle Weiterentwicklung gesetzt. Die Bedeutung dieses Themas für die Direktelektrifizierung wurde verkannt. Statt auf einen klugen Instrumentenmix wird hier lediglich auf das europäische ETSII und damit die Ausweitung auf den Gebäudesektor gesetzt.

Hohes Ambitionsniveau im Ausbau der Erneuerbaren Energien durch die Grünen

Die Grünen haben sich mit ihren Ambitionen im Bereich des Erneuerbaren Energien Ausbaus deutlich durchgesetzt. Der Koalitionsvertrag enthält dabei einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien die sich an einer Verdopplung der Bruttostrombedarfs aus Erneuerbare Energien bis 2030 – ca. 500 TWH im Jahr grüner Strom – im Vergleich zu heute orientiert. Dafür sollen zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie ausgewiesen werden, was einem massiven Ausbau entspricht, so wie er in den Szenarien des Kopernikusprojekts Ariadne angenommen wurde. Um dies zu erreichen setzt man auf einen dezentralen Ausbau, beschleunigte Genehmigungsverfahren und eine stärkere Koordination des Bundes mit den Ländern. Gerade letzteres wurde von Ariadne stark befürwortet und würde den Marginalisierungstendenzen der Länder in der Energietransformation in den letzten Jahren entgegenwirken.

SPD hält Erdgas im Koalitionsvertrag für salonfähig

Die Haltung des Koalitionsvertrags zu Erdgas als Brückentechnologie zeigt eindeutig die Handschrift der SPD. So wird in einem Atemzug mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien die Errichtung neuer moderner Gaskraftwerke genannt. Begründet wird dies mit Wettbewerbsfähigkeit, Kosteneffizienz und Energiesicherheit. Hier scheint die Idee von Erdgas als Brücke durch, ohne dies zu benennen. Auch die von der SPD gepuschte Nordstream II Gaspipeline aus Russland hängt damit eng zusammen, wird aber im Vertrag ebenfalls nicht erwähnt. Damit steht den Ambitionen im Ausbau der Erneuerbaren Energien die Bremse der weiteren Förderung der fossilen Energien im Gasbereich inklusive dem Schutz bestehender Infrastrukturen gegenüber. Zugeständnis an die Grünen hier – die neuen Kraftwerke müssen Wasserstoff-ready sein.

Technologieoffenheit als FDP Credo und die Europäische Union für Wasserstoff

Die Rede von der von der FDP favorisierten Technologieoffenheit findet sich an vielen Stellen des Koalitionsvertrags, so dass möglichen technologiefavorisierenden Regulierungen vorgebeugt werden soll, so etwa bei der „technologieoffenen Ausgestaltung der Wasserstoffregulatorik“. Zudem hat die FDP die Idee einer „Europäischen Union für Wasserstoff“ eingebracht, die sie als einzige Partei in ihrem Wahlprogramm ausgeflaggt hatte. Dabei enthält der Koalitionsvertrag die FDP Position, die keine Begrenzung auf Anwendungsfelder präferierte. An die Grünen ging hier wohl das Zugeständnis, trotzdem eine bevorzugte Anwendung in den Industriezweigen zu fordern, in denen keine direkte Elektrifizierung möglich ist.

„Idealerweise“ Kohleausstieg 2030

Der Kohleausstieg ist dann doch nur „idealerweise“ bis 2030 bewältigt. Der Vertrag setzt dafür ganz aufs ETS und einen Mindestpreis von 60 EUR. Diese bittere Pille mussten die Grünen schlucken und Robert Habeck versuchte sich auf Nachfragen bei der Pressekonferenz um diesen Umstand wenig überzeugend herum zu mogeln.

Europäische Dimension in ihrer Bedeutung für die Wasserstoffwirtschaft nicht verstanden

Eine ambitionierte Umsetzung der Erneuerbaren Energien Richtlinie sieht der Koalitionsvertrag nach Verabschiedung der zurzeit stattfindenden Novellierung der Richtlinie vor und bettet so den Ausbau und die Nutzung von grünem Strom in die europäische Strategie ein. Entgangen ist allen drei Parteien dabei jedoch, dass wenn sie nicht aktiv in die Novellierung eingreifen, der geplante Markhochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland durch die Richtlinie massiv beeinträchtigt wird. Die Erneuerbare Energien Richtlinie läuft darauf hinaus, dass nur neue Anlagen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien für die Produktion von Wasserstoff wie auch synthetischen Kraftstoffen verwendet werden dürfen. Wird die Richtlinie in diesem Sinne verabschiedet, wird das den im Koalitionspapier anvisierten massiven Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft enorm abbremsen. Hier sollten die Koalitionäre genauer auf die Details der europäischen Regulierung schauen. Eine ähnliche Regelung für Atomstrom findet sich in der europäischen Regulierung bisher übrigens nicht.

Auch beim Thema Atomkraft wird ein Streit auf EU Ebene unausweichlich sein und der Harmonie von deutscher und europäischer Politik, wie sie im Koalitionsvertrag gezeichnet wird, entgegenstehen. Der Koalitionsvertrag setzt auf europäischer Ebene auf eine einheitliche Zertifizierung von Wasserstoff und seine Folgeprodukte. Gleichzeitig schließt er Atomkraft und deren unterschiedliche Nutzung klar aus. Dies wird zu Spannungen mit Blick auf den vor zwei Wochen schnell noch eingefädelten Macron-Merkel-Deal führen. Beide hatten sich auf die europäische Linie geeinigt, dass in der Taxonomie für grünen Wasserstoff auf europäischer Ebene sowohl Atomstrom als auch Erdgas eingeschlossen sind. Es wird spannend werden, wie sich die Koalition, die gerade eine Widerbelebung des französisch-deutschen Tandems beschwört, hier verhalten wird. Lebhaft wird der Dialog sicher werden.

Wenig Überraschendes in der Europa-Politik

Insgesamt geraten die Ausführungen im letzten Drittel des Koalitionsvertrags zur Europapolitik eher zu einer Bestätigung des EU Kurses der alten Regierung. Man sieht deutlich, dass keine der Parteien Europapolitik zentral in ihren Wahlprogrammen verankert hatte. In vielen Punkten wird der Status quo bekräftigt. Wie immer eine Stärkung des EU Parlaments gefordert. Juristisch wenig korrekt eine Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen durch die Bundesregierung in Aussicht gestellt. Die heißen Eisen wie die Migrationspolitik oder die europäische Solidarität in der Krise, um nur zwei Beispiele zu nennen, werden zwar angesprochen. Doch innovative Problemlösungen sucht man vergeblich. Die Vorschläge liegen alle schon auf dem Tisch oder werden bereits umgesetzt.

Gerade in der Außenpolitik will die Bundesregierung die werteorientierte Politik der EU stärken und betont mehrmals den „sich entwickelnden Multilateralismus“, so Olaf Scholz in der Pressekonferenz. Damit setzt die Koalition in der EU Außenpolitik auf die „Normative Power Europe“, wie sie seit Jahrzehnten in der Forschung diskutiert wird. Nur am Rande wird von „Ländern“ die sich vom Multilateralismus abwenden gesprochen. Die Krise des Multilateralismus mit zunehmendem strategischem Wettbewerb und der Rückkehr der Machtpolitik bleibt stark unterbelichtet. Die neue Außenministerin wird zeigen müssen, wie sie sich eine solche EU als „starken Akteur“ in der Realität vorstellt.

Energie, Transformation, Klimaschutz im Gebäudebereich

Im Handlungsfeld „Klima und Energie“ hat die neue Bundesregierung in den Spagat zu gehen zwischen bestmöglicher Erreichung der Klimaschutzziele auf der einen Seite und wirtschaftlicher Belastbarkeit sowie sozialer Verträglichkeit auf der anderen Seite. Die Zusicherung der Freiheit kommender Generationen durch einen kosteneffizienten und technologieoffenen Weg zur Klimaneutralität ist ein bemerkenswert mutiger Schritt in die richtige Richtung. Wissenschaftliche Studien, auch der TU Darmstadt, haben in der Vergangenheit immer wieder bestätigt: Ohne die umfassende Ausnutzung von Marktkräften würde Deutschland an den Klimaschutzzielen scheitern. Das gilt nicht nur aber insbesondere auch für den Gebäudebereich.

Das Programm der Koalitionspartner zum Klimaschutz im Gebäudebereich ist sehr enttäuschend. So wird im Wesentlichen die bisherige, zu eng gedachte Strategie, die offensichtlich zu einem Scheitern der Ziele für diesen Sektor führen muss, einfach fortgeschrieben. Besonders enttäuschend ist, dass die Rolle des Gebäudenutzers, dessen Verhalten bis zu 30 % des Energieverbrauchs beeinflusst, im Strategieansatz der Regierung weiterhin komplett ignoriert wird. Vielmehr wird die Verantwortung für den Klimaschutz im Gebäudestand weiterhin maßgeblich den Eigentümern angelastet. Wie jüngste Studien der TU Darmstadt zeigen, geht damit das Momentum aktuell stark wachsenden Umwelt- und Verantwortungsbewusstseins für den Klimaschutz bei den Nutzern verloren.

Weitere Themen

Weitere Stellungnahmen von TU-Expert*innen zu anderen Themen des Koalitionsvertrags wie etwa Bildung oder Digitalisierung finden Sie im Artikel Koalitionsvertrag im Expertise-Check.