Flexibilität ins Energiemanagement

Das Forschungsprojekt „PHI-Factory“

30.03.2021 von

Sie arbeiten mit am Energiemanagement von morgen. Forschende der TU Darmstadt setzen dabei neben der Energieeffizienz auch auf Synergien zwischen den Sektoren und Kopplung an den Energiemarkt.

Die Versorgungstechnik einer Industrieanlage besteht aus einer Vielzahl technischer Anlagen. Neben der eigentlichen Produktionskette müssen zusätzlich Erzeuger und Speichersysteme in einem komplexen System orchestriert werden. In der Regel sind hierfür einfache Monitoring-Systeme im Einsatz, die vor allem elektrische Verbräuche dokumentieren. „Das verschafft einen groben Überblick über den Gesamtenergieverbrauch des Betriebs – eine Zuordnung der Verbräuche zu einzelnen Anlagen, Maschinen oder Produkten ist mit solchen Systemen nicht möglich“, sagt Professor Matthias Weigold vom Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt. In Zeiten, in denen mit der zunehmenden Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne die Volatilität zunimmt, sind jedoch nicht nur effizientere Produktionsanlagen gefragt, sondern auch deutlich flexiblere Energiemanagementsysteme.

„Potenziale für mehr Effizienz und Flexibilität gibt es in der industriellen Fertigung viele. Wir müssen sie nur heben“, betont Professor Stephan Rinderknecht, Leiter des Instituts für Mechatronische Systeme (IMS). Wie dies funktionieren kann, zeigt ein Blick in die ETA-Fabrik. Im Rahmen des Projektes „PHI-Factory“ ist hier ein Regelwerk entstanden und im Realmaßstab erprobt worden, mit dem Industriebetriebe durch ein flexibles Energiemanagement Kosten und Ressourcen sparen und zudem das Stromnetz stützen können.

Potenziale für mehr Energie-Effizienz und Flexibilität gibt es in der industriellen Fertigung viele. Wir müssen sie nur heben.

Entwicklung neuer Modellfabrik

Das PHI-Factory-Team hat in Kooperation mit Unternehmen wie Bosch Rexroth und der Software AG aus der ETA-Fabrik eine vollständig digitalisierte und energieflexible Modellfabrik gemacht, in der sämtliche Energie- und Prozessdaten überwacht werden. „Dies ermöglicht neben mehr Transparenz auch eine Vorhersage der Energieverbräuche – analog zur Wettervorhersage“, berichtet Weigold. Prognosen, wann die nächste Lastspitze eintritt, sind bezogen auf die gesamte Anlage, mit einem Vorlauf von 15 Minuten bis zu einer Stunde möglich. Gekoppelt an Wetter- und Marktdaten kann die Produktion energetisch optimiert geplant und die Versorgungstechnik flexibel und schnell an die sich verändernden Rahmenbedingungen angepasst werden. Hierzu finden entsprechende Optimierungsverfahren Anwendung.

Ein wichtiger Baustein des neuen Energiemanagementsystems ist ein neues hybrides und hocheffizientes Speichersystem, das einen Schwungmassenspeicher mit einer Lithium-Ionen- Batterie verbindet und sich dabei die Vorteile beider Technologien zunutze macht. „Wenn ich größere Energiemengen für eine längere Zeit speichern will, nutze ich die Batterie, wenn viele Maschinen gleichzeitig die Lastspitze erreichen, den anderen Speicher, weil er schnell Energie freisetzen kann“, erklärt Georg Franke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IMS. Das heißt, die Fabrik bedient sich nur dann aus dem Netz, wenn sie Strom braucht, und kann, zum Beispiel bei geringen Einspeisungen, aus erneuerbaren Energiequellen für einen Tag autark betrieben werden.

Als weiterer Verbraucher sind neben der Produktionsanlage auch die elektrisch betriebenen Werksfahrzeuge in das System integriert. Werden sie zum Aufladen geparkt, können Lastspitzen verschoben werden, das heißt der Ladevorgang startet erst, wenn der Strom billig ist, beziehungsweise an anderer Stelle nicht mehr benötigt wird. Im nächsten Schritt sollen die Batterien der E-Fahrzeuge bidirektional betrieben werden, also an der Ladesäule Energie auch ins System abgeben können. „Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir künftig Synergien zwischen der Industrie und dem Mobilitätssektor nutzen können“, sagt Rinderknecht. „Ohne solche innovativen Lösungen für die Sektor-Kopplung ist weder die Energie- noch die Verkehrswende langfristig machbar.“

Darüber hinaus trägt die flexible Fabrik der Zukunft zu einem stabilen Lastmanagement bei. „Das System weiß immer, wie es dem Netz gerade geht“, sagt Franke. Dies befördert nicht nur Effizienz und Nachhaltigkeit, sondern bietet auch wirtschaftliche Vorteile, zum Beispiel wenn ein Produktionsbetrieb im Falle eines Überangebots aus erneuerbaren Energien über die Abnahme des Überschusses Einnahmen generiert. „Es ist also wichtig, dass wir in unsere wissenschaftlichen Betrachtungen nicht nur die Technik einbeziehen, sondern immer auch ökonomische Fragen“, betont Rinderknecht.

Miteinbeziehung der Künstlichen Intelligenz im Energiemanagement

Ohne Methoden der Künstlichen Intelligenz wie dem maschinellen Lernen, das in Ansätzen schon im Rahmen von „PHI-Factory“ zur Anwendung kam, ist ein ganzheitliches, betriebs- und sektorenübergreifendes und an den Markt angepasstes Energiemanagement nicht zu verwirklichen. Im Rahmen des gerade startenden Projektes „KI4ETA“ sollen nun Lösungen gefunden werden, um die Echtzeitdatenströme automatisiert zu managen und darauf aufbauend die Produktion und Versorgung in einem ganzheitlichen System und KI-optimiert zu betreiben – von der Erfassung der Daten bis hin zur Steuerung jeder einzelnen Maschine.

„Wir wollen Energiemanagern und -beratern und denen, die für die Produktion und Infrastruktur verantwortlich sind, Werkzeuge an die Hand geben, um komplexe Fabriksysteme zu analysieren und CO2-arm zu gestalten“, kündigt Weigold an. Eine Energiemanagementplattform, die einfach zu installieren und zu bedienen ist und in Richtung Cloud und Edge Computing weiterentwickelt werden kann, die energetische Kopplung ganzer Sektoren, ein automatisiertes transparentes Monitoring und KI-Lösungen für die energetische Optimierung: Für Sprunginnovationen birgt das neue Forschungsvorhaben viele Potenziale.

Daten und Fakten:

Das Verbundprojekt „PHI-Factory“ (Laufzeit: 12/2016 bis 03/2020), an dem sich neben dem Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) und dem Institut für Mechatronische Systeme (IMS) sowie dem Fachgebiets Elektrische Energieversorgung unter Einsatz erneuerbarer Energien (E5) der TU Darmstadt auch Konsortialpartner der ETA-Fabrik beteiligt haben, wurde vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. Das Konsortium „KI4ETA“ soll unter Federführung des PTW und in Zusammenarbeit mit dem IMS und weiteren Industrie- und Forschungspartnern voraussichtlich im April 2021 an den Start gehen. Forschende des PTW und der ETA-Fabrik bringen zudem seit 2016 ihre Expertise in das vom Bundesministerium für Forschung und Entwicklung (BMBF) geförderte Kopernikus-Projekt „SynEergie“ ein.

Nachhaltige Produktion weitergedacht

Wenn die Industrie die Herausforderungen der Energiewende stemmen will, muss sie Produktion neu denken – ein komplexer Transformationsprozess, den die TU Darmstadt mit neuen digitalen und KI-gestützten Lösungen unterstützt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die dahinterstehen, sind anwendungsorientiert, interdisziplinär und ganzheitlich unterwegs. Ihr gemeinsames Ziel: Sie wollen Emissionssenkungen, Ressourcenschonung und eine flexible Energienutzung technologisch vorantreiben. Und damit auch dazu beitragen, dass mehr Unternehmen eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Produktion auf ihre strategische Agenda heben. Mit der ETA-Fabrik steht den Forschenden und ihren Praxispartnern auf dem Campus Lichtwiese eine Modellfabrik zur Verfügung, in der sie ihre Innovationen validieren und startklar für die Praxis machen können.

Lesen Sie auch den ersten Teil zur nachhaltigen Produktion an der TU Darmstadt:

„Auf dem Weg zum intelligenten Produkt“